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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 7.1932

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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.13707#0090

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auf einem richtigen Schiff. Freunde und Feinde der mo-
dernen Architektur haben manchen modernen Bau der
letzten Jahre mit Schiffsarchitektur verglichen. Und hier
und da lag wohl auch ein Vergleich sehr nahe. Aber
daß man gewaltsam Entlüftungsrohre, Kommandobrücken
und Verladeluken anbringen würde, hätte man auch
nicht geglaubt. Wenn diese Abbildungen in unserer
Februarnummer stehen, so könnte mancher Leser auf den
Gedanken kommen, daß wir einen Fastnachtsscherz
bringen. Wir müssen deshalb besonders darauf hin-
weisen, daß beide Bilder wirklich echt sind. Wenn auch
bei uns solche krassen Fälle nicht vorgekommen sind, so

mögen doch diese Bilder eine Mahnung sein, Schiffs-
architektur und Hausarchitektur nicht absichtlich mitein-
ander zu verwechseln. Wo aus den gleichen Bedingun-
gen ähnliche Formen hervorwachsen, haben sie ihre Be-
rechtigung. Wir brachten in Heft 1/1931 auf Seite 33
eine Fotografie von Will Keiling: „Die Stirnfront der Auf-
bauten eines Hapagdampfers." Wenn man an dem
Hochhaus von Mendelsohn am Potsdamer Platz vorbei-
geht, so hat man, wenn man von der Friedrich-Ebert-
Straße her kommt, ganz genau das gleiche Bild. Das ist
eine solche Übereinstimmung, die selbstverständlich ist
und nicht absichtlich gesucht wurde. L.

Deutsche Typografie

„In der französischen (Typografie) lebt immer
noch ein Rest echten Lebens; die deutsche Typo-
grafie dagegen, allzusehr geschwächt durch allerlei
Experimente der letzten vierzig Jahre, zeigte nur
die Zuckungen eines galvanisierten Körpers. Eine
gewisse Betriebsamkeit mancher deutscher Schrift-
gießereien begünstigte den Wirrwarr, indem diese
jeder Eintagsmode mit einer Spezialschrift ent-
gegenkamen."

Jan Tschichold: Neuere Typografie in Frankreich.
(„Die Form", Heft 10, S. 382.)

Diese Sätze sind als gehässig empfunden worden, und
sie wären besser nicht geschrieben, denn eine solche
Darstellung des Verhältnisses deutscher zu französischer
Typografie ist falsch. Richtig ist, daß in Frankreich die
Tradition des Spätklassizismus noch nicht erloschen ist:
ein französischer Setzer pflegt heute noch einen Buch-
titel und ein Inserat nach den um 1850 gültigen Regeln
zusammenzubauen, wenn er keine anderen Anweisungen
hat. Ein deutscher Setzer kann das nicht, denn in
Deutschland wurden die letzten Reste der klassizistischen
Überlieferung um das Jahr 1900 durch die mit Gewalt
einsetzende kunstgewerbliche Bewegung zerstört. Man
mag das heute bedauern oder nicht, auf jeden Fall war
das ein Anstoß von großer Lebenskraft, der den Boden
für alles Neue unserer Gegenwart lockerte. Das ganze
deutsche Buchgewerbe von den Schriftgießereien bis zum
letzten Provinzsetzer war in Bewegung geraten, und wir
sind heute noch nicht wieder zur Ruhe gekommen. Ge-
wiß gingen diese Anstöße ebensosehr in die Breite wie
in die Tiefe, und es erschienen seit dem Jahr 1900 in
Deutschland sehr viele neue Druckschriften, darunter auch
mäßige und überflüssige. Tschichold nennt das „Hyper-
trofie der Matrizenproduktion", wobei er zu vergessen
scheint, daß er selbst bereits drei neue Druckschriften
verkauft und eine größere Anzahl gezeichnet hat. Und
es ist auf jeden Fall unrecht, die deutsche Betriebsamkeit,
die sich in dieser Schriftenproduktion ausdrückt, rundweg
mit einem negativen Vorzeichen zu versehen, denn die
allgemeine Regsamkeit und Anteilnahme, die seit vier
Jahrzehnten im deutschen Buchgewerbe herrscht, war die
Vorbedingung für ungewöhnliche Spitzenleistungen von
größter künstlerischer und wirtschaftlicher Bedeutung.

In den letzten vierzig Jahren, in denen nach Tschichold
die deutsche Typografie nur noch die Zuckungen eines

galvanisierten Körpers zeigte, haben in Wahrheit
deutsche Druckschriften die Typografie fast der ganzen
Welt entscheidend umgestaltet. Nicht nur in Europa und
Südamerika hat die deutsche Schriftgießerei ihre vor-
herrschende Stellung befestigt: in der Nachkriegszeit
drangen unsere Druckschriften selbst in Nordamerika ein,
überwanden den Wettbewerb der mächtigen ein-
heimischen Industrie und sind heute in jeder gepflegten
Zeitschrift der Vereinigten Staaten zu finden. Das ist
ein Vorgang, der für die internationale Entwicklung der
neueren Typografie richtungweisend wurde. Man ge-
statte einige Daten:

Die um 1906 von Friedrich Bauer gezeichnete Genzsch-
Antiqua wurde fast zur skandinavischen Nationalschrift.

Die 1910 erschienene Kleukens-Antiqua von F. W.
Kleukens ist heute noch eine der in Spanien vor allen
anderen bevorzugten Schriften.

Die seit 1914 herausgegebenen Antiqua-Schriften von
Rudolf Koch sind heute in Amerika weit verbreitet und
wurden dort mehrfach widerrechtlich nachgeahmt. Selbst
eine gotische Schrift dieses Künstlers fand in Amerika
Eingang.

Auch die 1924 erschienene Bernhard-Schönschrift von
Lucian Bernhard wurde in England und Amerika unrecht-
mäßig kopiert, da den einheimischen Schriftgießern kein
anderes Mittel einfiel, sich der deutschen Konkurrenz zu
erwehren.

Die 1926 erschienene Futura von Paul Renner, aus der
auch diese Zeitschrift gesetzt wird, ist heute in größten
Mengen buchstäblich über die ganze Welt verbreitet.

Diese Liste ist bei weitem nicht vollständig. Dutzende
deutscher Druckschriften sind in den letzten vierzig Jahren
mit großem Erfolg im Ausland eingeführt worden, und
es muß mit Nachdruck betont werden, daß die Schriften
keines anderen Landes in der jüngsten Zeit ähnliche
internationale Verbreitung und Anerkennung gefunden
haben, auch die Frankreichs nicht. Paul Renners „Futura"
ist von der bedeutendsten französischen Schriftgießerei
in Matrizen erworben und wird unter dem Namen
„Europe" in Paris gegossen: die modernste französische
Werkschrift ist deutschen Ursprungs.

Diese Tatsachen sind Tschichold bekannt. Man weiß
nicht recht, warum er sie verschweigt und einem schnei-
digen Satz zuliebe die Verhältnisse umkehrt.

Konrad F. Bauer

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